Einen Apfelstrudel und ein Radler, bitte.

Die und noch andere Gerichte und Getränke hört man sich immer gern schon selbst im Kopf bestellen, wenn man mit dem Aufstieg zur Hütte beginnt. Das ist oftmals sozusagen das Wander-Benzin für den ein oder anderen – das Licht am Ende des Tunnels. Die verdiente Belohnung, wenn man dann endlich oben ist.
Ganz anders ist das jedoch, wenn das angepeilte Ziel gar keine Hütte mit Verpflegung à la carte ist: so wie bei unserer Tour durch die Lechtaler Alpen inklusive Übernachtung im Winterraum auf der Hanauer Hütte. Die Liste an Gerichten wandert damit schnurstracks als Zusatzgewicht auf deinen Rücken und möchte von dir fleißig den Berg hinauf transportiert werden. Aus diesem Grund verwandeln sich dann auch die Käsespätzle in Risotto, der Apfelstrudel in Mousse au Chocolat aus der Tüte – so viel Genuss wie mit möglichst wenig Gramm eben.

Spontan umgeplant

Auf die Rucksäcke verteilt werden diese Gramm im Gasthof Bergheimat in Boden in Tirol, wo wir uns Donnerstagabend treffen. Zuvor essen wir gemeinsam in der Stube zu Abend. Unaufgefordert schiebt uns die Bedienung einen Teller mit sechs Riesenschnitzel auf den Tisch. Ein wahrer Servicevirtuose mit hellseherischen Fähigkeiten? Fast: Der eine Vegetarier unter uns wird nachträglich mit Omelett versorgt. Von den Schnitzel bleibt trotzdem nichts übrig – wir sind im Hamstermodus, da wir wissen, dass sich die nächsten Tage das Essen nicht von selbst richten wird.

Mit Schnitzel- und Omelett gefüllten Mägen machen wir uns an die gemeinsame Tourenplanung: Der erster Dämpfer ist die Aussage vom Wirt, dass man für den Winterraum der Steinseehütte ungewöhnlicherweise einen Schlüssel der Sektion benötigt, den wir so kurzfristig nicht mehr bekommen. Dann eben keine Umrundung, sondern nur von der Hanauer Hütte aus – halb so wild! Aber nicht nur das. Die Tage davor war es windig und extrem kalt. Die Lawinenwarnstufe ist daher ein – wie Kursleiter Hannes es nennt – „angespannter dreier“ und macht uns etwas unruhig. Für die nächsten Tage ist das Wetter jedoch günstiger angesagt, was uns optimistisch und voller Vorfreude auf das Kommende ins Bett kriechen lässt.

Aufstieg zum Winterraum auf die Hanauer Hütte

Klirrendes Besteck – Frühstück. Der Lawinenlagebericht: spielt mit. Packen. Schuhe, die in die Bindung einrasten – klack. Piepstöne. Großer LVS Check: Grünes Licht. Und los gehts.
Im Gegensatz zu den arktisch temperierten Tagen zuvor haben wir es dank Föhn bzw. Südstau beim Aufstieg mollig warm – Hannes gibt uns dabei zum Thema Wetterkunde einen sehr interessanten und bildlichen Exkurs (Biergarten- versus Gardaseeansturm).

Der Weg zur Hanauer Hütte ist bis auf das letzte Stück relativ flach und einfach zu meistern. Dort machen wir kurz Pause und befreien uns von dem überflüssigen Ballast wie Abendessen und Schlafsäcken. Was der Rucksack nun leichter war, wurden die Hänge steiler. Deswegen machen wir am ersten Tag anders als ursprünglich geplant nur die halbe Strecke zur Kogelseespitze. Ein paar Leute sind ausgepowert, der Schnee zeigt sich nicht von seiner Schokoladenseite. Wir sind uns einig: lieber Kraft für morgen sparen.

Risotto und Mousse au Chocolat

Auf der Hütte angekommen, machen wir uns es gemütlich. Noch sind wir die einzigen dort. Es wird fleißig Holz gehackt, der Ofen angeschürt, die Füße hoch gelegt, Tee getrunken. Wir schmelzen Schnee wie die Weltmeister, denn fließend Wasser gibt es im Winterraum nicht. Sich darüber zu beschweren wäre jedoch mehr als unfair, gibt es doch sonst alles was das Skitourengängerherz so begehrt: ein bequemes, großes Lager, eine Toilette und eine separate Küche mit Ofen und Möglichkeiten Klamotten zu trocknen! Verglichen mit so manch anderen spartanischen Winterraum (aka Fußböden in Hüttenvorräumen), spielt der Winterraum der Hanauer Hütte eindeutig in der Oberklasse.


Langsam melden sich unsere knurrenden Bäuche zu Wort und befehlen uns mit dem Kochen zu beginnen. Gemeinsam wird Gemüse geschnipselt, noch mehr Schnee geschmolzen, Reis gekocht: es gibt Pilzrisotto, und was für eines! In dem Moment, in dem wir unsere erste Gabel zum Mund führen, geht die Türe auf und langsam füllt sich die Hütte mit weiteren Gästen. Unser Gaumen jubelt und lässt die Blicke der gerade eingetroffenen und wahrscheinlich hungrigen Ankömmlinge neidisch auf unsere Teller richten. Im Anschluss packt Hannes sogar eine Flasche Rotwein aus. Unmengen an Risotto verschwinden. Auch die Nachspeise – weißes Mousse au Chocolat – verschwindet ratzfatz.

Und während wir so essen, füllt sich die Hütte immer weiter. Eine Stirnlampe nach der anderen zieht am Fenster vorbei. Inzwischen stapfen mehr Leute durch die Hütte als es Schlafplätze gibt. Es wird wohl kuschelig im Lager heute Nacht. Und bis auf ein paar Ausreißer (Holz hacken in der mehr als gut gefüllten Stube. Warum?) kommt man auf engstem Raum bestens miteinander zurecht. Mit ein paar Leuten, die mit dem Summit Club unterwegs sind, spielen wir später noch Karten – eine nette Truppe, mit der wir auch die nächsten beiden Tage teilweise zusammen verbringen werden.

Puderzucker unter der Dremelscharte

Am nächsten Tag machen wir uns fast zeitgleich mit der Summit Club Gruppe nach einem ausgiebigen Frühstück auf zur Östlichen Dremelscharte. Im eisigen Wind laufen wir über die betonharten Windgangeln. Auf dem Grat angekommen lacht uns die morgendliche Sonne ins Gesicht und der Himmel strahlt blau. Kursleiter Hannes analysiert, diskutiert und gestikuliert zu den aktuellen Schneebedingungen. Wir versuchen es wie Schwämme aufzusaugen und auch die Summit Club Gruppe hört interessiert zu. Nach gründlicher Abwägung beider Kursleiter machen wir uns an das letzte steile Stück bis zur Scharte. Geschafft! In weichen Schwüngen ziehen wir durch den fluffigen Puderzucker im nordseitigen Hang hinunter, besser geht’s nicht. Daraufhin dann der Wermutstropfen: eine Querung mit leichtem Gegenanstieg und ein bockharter Hang, bei dem man mehr den Berg hinuntervibriert als gleitet. Unten teilen wir uns auf. Ein Teil der Gruppe fährt weiter ab zur nahegelegenen Hütte, der andere steigt im flotten Tempo auf zur westlichen Dremelscharte. Abends bedanken sich meine Oberschenkel für die an diesem Tag zurückgelegten knappen 1300 Höhenmeter. „Was für ne Mimose“ mag jetzt der ein oder andere denken aber – ja gut. Hast ja recht. Ich hör schon auf.

Das Abendessen heute fällt heute etwas bescheidener aus als am Vorabend: Gemüsereis und Gewürznudeln aus der Tüte. Und Himbeerpudding – auch aus der Tüte. Uns schmeckt’s trotzdem und alle sind satt. Es wird viel geblödelt, Karten gespielt, langsam auch die Reste verputzt. Die Gruppe hat sich schnell gefunden und es fühlt sich so an, als würde man sich schon länger kennen als nur zwei Tage. Hannes gibt noch zusammen mit der anderen Gruppe eine Yogarunde im Schlafsaal. Ich wusste, dass ich ungelenkig bin, aber das war ernüchternd. Die Zeit vergeht viel zu schnell und ehe man sich versieht, liegen wir in unsere Schlafsäcke eingerollt im Lager und schließen unsere Augen.

Und zum Schluss noch ein Strudel

Unsere inzwischen relativ gut eingespielte Truppe startet am Sonntag etwas früher in Richtung Gufelseejöchl. Auch heute haben wir den Wetter Jackpot gezogen: blauer Himmel, strahlender Sonnenschein. Der Aufstieg ist kurz aber unangenehm steil und durch den weichen Schnee sehr mühselig, was den ein oder anderen bei der Spitzkehre etwas fluchen lässt. Oben angekommen peitscht uns trotz Sonnenschein kalter Wind und Schnee ins Gesicht, so dass wir dort nur kurz Pause machen.

Die Abfahrt: traumhaft mit schönstem Powder. Auf weißen Wolken gleiten wir nach unten zur Hütte, füllen unsere Rücksäcke mit dem Rest auf und fahren ab ins Tal. Dort setzen wir im Gasthof nochmal zusammen auf der sonnenbeschienenen Terrasse und lassen die Tage Revue passieren, freuen uns über die tolle Zeit die wir hatten und genießen nun vereinzelt doch noch unseren längst verdienten Radler oder Apfelstrudel, die jetzt sogar noch besser schmecken.

Text und Bilder: Felix Finger